Bis Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Problem der Dekompressionserkrankungen bei Tauchern und Druckluftarbeitern mit sehr unterschiedlichen Dekompressionsverfahren angegangen. Die ersten brauchbaren Auftauchvorschriften in Tabellenform für verschiedene Tauchtiefen und Tauchzeiten wurden 1908 vom britischen Physiologen Haldane der britischen Marine vorgelegt.
In seiner Tabelle verwendete er erstmals das auch heute noch übliche Verfahren, den Aufstieg von der (Arbeits-)Tauchtiefe zur Oberfläche je nach N2-Sättigung mit Wartezeiten in bestimmten Tiefen zu verlängern (Deko-Stops).
Im damals in Großbritannien üblichen System der Längeneinheiten wählte er die Deko-Stufen im Abstand von 10 Fuß (= 3 Meter). Wie bei den heutigen Tabellen konnten die Taucher eine gewisse Zeit in einer bestimmten Tiefe verweilen, ohne dass sie Deko-Stops in 3m, 6m, etc. einhalten mussten.
Je länger und je tiefer der Tauchgang, umso länger die Deko-Zeiten und umso tiefer der erste erforderliche Deko-Stop.
Grundlagen
Grundlage der Dekompressionstabelle von Haldane waren die praktischen Erfahrungen mit Dekompressionserkrankungen aus der Vergangenheit, theoretische Überlegungen zur N2-Sättigungsphysiologie, Druckkammerversuche mit Ziegen sowie nach Fertigstellung der Tabellen Versuchstauchgänge von Tauchern der britischen Marine.
Diese erste klassische Dekompressionstabelle war weltweit sehr erfolgreich, d h. bei Verwendung der Tabelle gab es im Gegensatz zu den bis dahin üblichen Dekompressionsverfahren eine sehr geringe Unfallrate.
Weiterentwicklung
In den nächsten Jahren wurden zahlreiche neue Tabellen entwickelt, die z.B. für längere Tauchzeiten oder für größere Tauchtiefen ausgelegt waren. Die meisten dieser Tabellen, wie auch die heute verwendeten Dekompressionstabellen für Sporttaucher, fußen aber auf den grundlegenden Forschungen von Haldane.
Bei der Entwicklung der neuen Tabellen konnten dabei jeweils die praktischen Erfahrungen in der Anwendung der bisherigen Tabellen mit einfließen. Waren Tauchunfälle bei einem bestimmten Zeit-Tiefen-Profil aufgetreten obwohl man der Dekompressionstabelle gefolgt war, so wurden die Rechenmodelle in diesem Bereich modifiziert.
Insgesamt stellt die Geschichte der Dekompressionsverfahren bisher eine Mischung aus theoretischen Überlegungen und Erfahrungen in der Tauchpraxis dar.
Rahmenbedingungen
Da neben der Tauchzeit und Tauchtiefe eine Vielzahl von Faktoren die N2-Sättigungsphysiologie mitbestimmen, sind bei der Anwendung der Dekompressionstabellen gewisse Rahmenbedingungen einzuhalten. Auch bei Einhaltung aller Rahmenbedingungen kommt es bei korrekt durchgeführten Tauchgängen regelmäßig zur Bildung von N2-Blasen.
Sie führen jedoch so gut wie nie zu Symptomen einer Dekompressionskrankheit, da sie in der Lunge festgehalten und abgeatmet werden.
Körperliche Fitness
Die körperliche Fitness spielt eine wesentliche Rolle für die N2-Aufnahme verschiedener Gewebe, da sich ein trainierter Organismus bei körperlicher Belastung bezüglich der Kreislauffunktionen (Herzfrequenz, Herzpumpvolumen, Blutdruck) anders verhält als ein untrainierter Organismus.
Dies wiederum kann die N2-Aufnahme des Körpers wesentlich beeinflussen.
Flüssigkeitshaushalt
Eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr bewirkt einer Eindickung des Blutes mit Verschlechterung des Fließverhaltens (= erhöhte Viskosität).
Dies kann dazu führen, dass N2-Blasen eher ein Blutgefäß verschließen als dies in einem dünnflüssigen Medium der Fall wäre. Bei der Verrichtung schwerer körperlicher Arbeit vor Beginn des Tauchgangs kann es in der Muskulatur zur vermehrten Entstehung von N2-Blasenkernen kommen.
Umgebungsbedingungen
Auch die Umgebungsbedingungen während des Tauchgangs wie Wassertemperatur, Strömung und hoher Wellengang können den Taucher unterschiedlich stark beanspruchen und so Einfluss auf die N2-Sättigung und -Entsättigung nehmen.
Tiefe
In Wassertiefen über 30 m besteht nach den aktuellen Unfallstatistiken von DAN Europe generell ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Dekompressionserkrankungen, selbst wenn man sich im Rahmen der Dekompressionstabelle bewegt.
Dekompressionspflicht
Ähnliches gilt auch für längere Tauchzeiten. Wird so lange getaucht, bis beim Auftauchen das Einhalten von Deko-Stops erforderlich wird, erhöht dies das Risiko für eine Dekompressionserkrankungen, selbst wenn die Austauchvorschriften strikt eingehalten werden.
Tauchprofil
Das Tauchprofil sollte immer so gestaltet werden, dass die größte Tauchtiefe zu Beginn des Tauchgangs erreicht wird und danach zunehmend flachere Wassertiefen aufgesucht werden.
Andere Tauchprofile haben zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die N2-Sättigungsphysiologie mit zum Teil deutlich vermehrter N2-Blasenbildung.
Schwere Arbeit
Wird unter Wasser schwere Arbeit verrichtet, so verändert sich das N2-Sättigungsverhalten einzelner Gewebe durch die insgesamt angeregte Herz-Kreislauf-Tätigkeit und die vermehrte Muskeldurchblutung zum Teil erheblich.Gleiches gilt für das Verhalten während der Dekompression und nach Ende des Tauchgangs.
Auch hier sollten schwere Arbeiten, schnelles Flossenschwimmen oder gymnastische Übungen unterbleiben. Bei derartigen Belastungen kann es ggf. durch die verstärkte Muskeldurchblutung kurzeitig zu einem massiven Auftreten von N2-Blasen im venösen Blut kommen.
Aufstiegsgeschwindigkeit
Die Aufstiegsgeschwindigkeit zum Ende eines Tauchgangs ist wie die Dekompressionsstufen selbst ein wesentlicher Bestandteil der Dekompressionsvorschriften.
Werden die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten deutlich über- oder unterschritten, so hat dies direkte Auswirkungen auf die N2-Sättigungsphysiologie und die Tendenz zur Blasenbildung. Fast alle modernen Dekotabellen fordern auf den letzten 10 Metern bis zur Oberfläche eine Aufstiegsgeschwindigkeit von unter 10 m/min.
Im Klartext bedeutet das, dass z.B. der Aufstieg von 3 m Tiefe zur Oberfläche ca. 20 s dauern soll !
Sicherheits-Stop
Allgemein wird heute für jeden Tauchgang die Einhaltung eines Sicherheits-Stops vor dem Aufstieg zur Wasseroberfläche gefordert. Die Empfehlungen bewegen sich zwischen 3-5 min auf 3-6 m Tiefe.
Null-Zeit
Als Null-Zeit bezeichnet man die Zeit, die in einer bestimmten Tiefe getaucht werden kann, ohne dass Deko-Stops erforderlich werden. Die Null-Zeit beginnt mit dem Verlassen der Wasseroberfläche und endet mit dem Beginn des Aufstiegs, wenn mit der vorgeschriebenen Auftauchgeschwindigkeit aufgestiegen wird.
Steigt man langsamer als vorgeschrieben auf (z.B. unter 10 m/min), so ist die gesamte Zeit bis zum Erreichen der Sicherheits-Stop-Tiefe zu berücksichtigen.
Wiederholungs-Tauchgänge
Da nach Ende eines Tauchgangs in den verschiedenen Geweben je nach Sättigungshalbwertszeit noch für Minuten bis Stunden eine gewisse Restübersättigung mit N2 besteht, müssen sogenannte Wiederholungstauchgänge, d. h. Tauchgänge eines nicht komplett entsättigten Tauchers, hinsichtlich der erforderlichen Dekompression anders berechnet werden.
Bei der Planung von Wiederholungstauchgängen nach ausgedehnten, tiefen Ersttauchgängen mit einem erheblichen N2-Blasenaufkommen und entsprechender Verlegung der Lungenkapillaren muss mit einer langsameren N2-Entsättigung während der Oberflächenpause gerechnet werden, als es in der Dekompressionstabelle angenommen wird.
(siehe oben: Shuntgefäße in der Lunge und offenes Foramen ovale)
Oberflächenpause
Nach üblichen Sporttauchprofilen ist die N2-Entsättigung durch erhöhtes N2-Blasenaufkommen in der Lunge besonders während der ersten drei Stunden nach Tauchgangsende verzögert.
Die während eines Vortauchgangs entstandenen N2-Blasen oder wandständigen Blasenkerne können in der Dekompressionsphase nach einem Wiederholungstauchgang zu einem frühzeitigen und vermehrten Auftreten von weiteren N2-Blasen führen.
Je größer die Oberflächenpause zwischen zwei Tauchgängen, umso mehr entsprechen die Voraussetzungen des Wiederholungstauchgangs einem Einzeltauchgang. Von einer kompletten Wiederherstellung des Fließgleichgewichtes für die N2-Sättigung der einzelnen Körpergewebe kann bei Sporttauchgängen in der Regel nach einer Tauchpause von 24 Stunden ausgegangen werden.
Non-Limit-Tauchen
Bei über mehrere Tage hintereinander durchgeführten Wiederholungstauchgängen, z.B. während eines Tauchurlaubs, wird empfohlen, nach spätestens sechs Tauchtagen einen freien Tag zur kompletten Entsättigung einzulegen.
Restrisiko
Insgesamt ist das Sporttauchen eine recht sichere Freizeitbeschäftigung. Auch aus Sicht der Versicherungen ist Tauchen im Vergleich mit anderen Sportarten keine Risiko-Sportart.
So sind z.B. beim Reiten die Anzahl der Unfälle deutlich höher als beim Tauchen. Schweregrad und mögliche Spätfolgen der Unfälle in diesen sehr unterschiedlichen Sportarten sind dabei durchaus vergleichbar.
Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen und trotz eines sicherheitsorientierten Tauchens lässt sich eine absolute Sicherheit mit einem Null-Risiko für das Auftreten einer Dekompressionserkrankung aber nicht erreichen.
Wer diesen Sport ausübt, muss die Existenz eines geringen Restrisikos akzeptieren, so wie er auch die Möglichkeit eines tödlichen Autounfalls, eines Bahnunglücks oder eines Flugzeugabsturzes akzeptieren muss.
Bei der Vielzahl von Faktoren, die bei N2-Sättigung, -Entsättigung und -Blasenbildung eine Rolle spielen, werden schnell die Schwierigkeiten klar, die bei dem Versuch auftreten, eine "sichere" Dekompressionstabelle zu erstellen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass derartige Tabellen nur statistisch gesehen sicher sein können, jedoch nie eine absolute Garantie gegen das Auftreten von Dekompressionserkrankungen bieten können.
Abgesehen davon, dass darüber zu diskutieren wäre, ab wann eine Dekompressionstabelle als "sicher" bezeichnet werden kann (Bei einem Dekompressionsunfall auf 10.000 korrekt durchgeführte Tauchgänge? oder bei einem Dekompressionsunfall auf 1.000.000 korrekt durchgeführte Tauchgänge?), muss jedem klar sein, dass die Sicherheit eines Tauchgangs eben nicht nur durch Tauchzeiten und Tauchtiefe bestimmt wird, sondern durch die Beachtung einer Vielzahl von Faktoren, die zusammen zu einer Erhöhung der Tauchsicherheit führen.
Tabellen
Die zur Zeit international gebräuchlichen und von verschiedenen Tauchsportorganisationen empfohlenen Dekompressionstabellen (Bühlmann, Comex, DECO ´92, NAUI, PADI, YMCA, BS-AC, etc.) verfügen alle über ein vergleichbar hohes Sicherheitsniveau, wenn man sich an die für die einzelnen Tabellen zum Teil unterschiedlichen Rahmenbedingungen hält.
Ein einfacher Vergleich der für einen Ersttauchgang vorgeschriebenen Dekompressionszeiten erlaubt keine zuverlässige Aussage über die Güte einer Dekompressionstabelle.
Großzügigere Dekompressionsvorschriften für den Ersttauchgang können durch sehr eng gefasste Bestimmungen für Wiederholungstauchgänge kompensiert werden und andersherum.
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